Thomas Podhostnik im Gespräch

Für die Ausgabe 28 von Der Maulkorb – Blätter für Literatur und Kunst hat Katharina Simon den Autoren und Mitbetreiber des Leipziger Textateliers textat Thomas Podhostnik interviewt. Hier lest ihr das Interview in voller Länge, das für die Printausgabe gekürzt wurde.

 

Mein Schreibdrang ist immer sehr zurückgenommen. Es fließt nicht aus mir heraus, ich muss mich immer ein wenig zwingen zu schreiben. Ich brauche das Schreiben, sonst herrscht eine gewisse Sinnlosigkeit für mich in der Welt. Ich schreibe eher sehr konzentriert, sehr wenig Text, arbeite lange an verschiedenen Ideen, mische viel. Ich schreibe einen Satz und dann vergeht eine Woche, in der ich nachdenke, ob es Sinn macht, diesen Satz zu behalten oder nicht.

 

Hast Du einen festen Tagesablauf, wenn Du schreibst?

Ich lebe nicht vom Schreiben, sondern muss immer andere Dinge tun, das heißt, dass mein Tagesablauf sich stark danach richtet, wie viel Zeit ich habe. Mein ganzer Schreibansatz beruht darauf, dass ich nie wirklich richtig Zeit zum Schreiben hatte und einen sehr konzentrierten Stil entwickeln musste. Mir fehlt die Zeit, beim Schreiben in einen Fluss hineinzukommen. Ich schreibe meistens dann, wenn ich kann. Im besten Fall direkt nach dem Aufstehen, nach dem Kaffee ein, zwei Stunden. Wenn es ein idealer Tag ist, habe ich danach wenig zu tun, gehe wandern oder spazieren und würde mich dann abends nochmal hinsetzen, um das am Morgen Geschriebene zu überarbeiten. Nach ein, zwei Wochen kommt dann nichts mehr, von dem ich denke, dass das wirklich überlegt ist und die Notwendigkeit hat, aufgeschrieben zu werden. Ich finde Text, der raus will, muss auch eine Notwendigkeit haben. Es muss nötig sein, dass der geschrieben werden muss. Nach zwei Wochen ist diese Notwendigkeit meist wieder dahin und ich kann wieder in Schweigen verfallen. Dann dauert es wieder einige Zeit. Wenn ich mich dann irgendwo langweile, dann fange ich wieder an, über diesen Text nachzudenken, dann geht es meist weiter und es passiert etwas.

Ich versuche mich immer aus dem Text herauszunehmen. Es gibt ja Autoren, die einen ganz bestimmten Stil entwickeln durch eine Regelmäßigkeit, der ihnen dann leicht von der Hand geht. Ich versuche genau das zu vermeiden. Ich möchte nicht locker-flockig in einem bestimmten Stil schreiben, sondern möchte den Widerstand spüren, ich möchte, dass es aus mir herauskommt, weil es muss. Ich möchte mich literarisch mit etwas beschäftigen, von dem ich denke, dass ich mich damit befassen muss. Zum anderen verstehe ich Sprache eher als eine harte, zu formende Masse. Wenn ich Figuren erschaffe und in Dialoge setze, dann sollen die nicht beliebig sein, sie sollen in dem Gefüge, das da steht, eine Bedeutung haben. Wenn ich es fließen lasse, dann wird es meist beliebig. Ich mag keine Beliebigkeit in der Sprache.

Ich möchte auch, dass der Leser den Widerstand spürt. Ich möchte, dass sie vor dem Text stehen wie vor einem Wald oder einer Wüste, die man betreten kann, aber sich dabei denkend durchtasten muss.

Schreiben ist für mich etwas Existentielles und Existentielles muss immer ökonomisch betrachtet werden, es benötigt einen gewissen Minimalismus, weil es sonst ausufert und sich aufbläst und seine Form verliert. Wenn ich dem, was ich tue, einen Namen geben müsste, würde ich es wahrscheinlich existentiellen Minimalismus nennen.

 

„Schuld und Sühne“ oder „Die Brüder Karamasow“ könnte heutzutage meines Erachtens gar nicht gelingen, weil die Gedanken schon da sind und die Gedanken, die noch übrig geblieben sind, die noch nicht formuliert wurden, sind viel feingliedriger und kleiner als dieser große Gestus der Weltbeschreibung.

 

Hast Du Vorbilder, die Deinen Schreibstil beeinflusst haben?

Nein, ich kann es nicht anders. Autoren, die ich als Jugendlicher und junger Mann unglaublich gern gelesen habe, waren die großen Erzähler – Dostojewskij, Tolstoi, Dickens, Joyce in seiner frühen Zeit, Shakespeare, Cervantes – alles Leute, bei denen der Schreibimpuls sehr groß war. Ich habe auch Balzac komplett gelesen und geliebt. Das, was ich lese, hat mich aber nicht in meiner eigenen Form beeinflusst.

Ich würde auch gern so eine Klarheit über die Welt in mir verspüren, entweder habe ich diese Klarheit nicht und ich kann sie nicht reproduzieren, oder die Welt ist unklarer geworden. Die Welt ist so viel komplexer als vor einhundert oder zweihundert Jahren, dass der sich befreiende Gedanke gehemmt wird, wenn man denkt.

„Schuld und Sühne“ oder „Die Brüder Karamasow“ könnte heutzutage meines Erachtens gar nicht gelingen, weil die Gedanken schon da sind und die Gedanken, die noch übrig geblieben sind, die noch nicht formuliert wurden, sind viel feingliedriger und kleiner als dieser große Gestus der Weltbeschreibung.

Das Kunstwerk als solches braucht keine Erklärung, weil es sich aus sich selbst erschließen muss. Ein Kunstwerk steht für sich und man nähert sich ihm auch nicht über Erklärungen an.

Wenn wir zum Beispiel Kafkas „Schloss“ nehmen, dann bringt einen eine Studie oder Erklärung nicht näher an das Kunstwerk heran. Wenn man versucht, ein bisschen wie Kafka zu schreiben als er das „Schloss“ geschrieben hat, wird es automatisch kafkaesk. Das bedeutet, dass Kafka eine Form gefunden hat, die sich selbst erschließt und der man sich auch nicht annähern kann, ohne sie selbst zu werden.

Dem Anspruch, den ein Kunstwerk an einen stellt, genügt man nicht, wenn man es nur konsumiert. Es produziert einen Denkimpuls oder eine Denkreaktion und die müsste sich in einer eigenen Art von Manifestation äußern. Wenn ich dem „Schloss“ gegenüberstehe, muss ich mich dazu verhalten und der denkende freie Mensch würde wiederum etwas Eigenes erschaffen – das wäre das Ideal, der aktiv denkende Mensch. Der reine Konsument von Literatur und Kunst ist schon nicht mehr richtig Mensch.

Zum Menschsein gehört eine künstlerische Stimme, der Ausdruck in der Welt, dazu. Das muss in keinster Weise Malerei, Musik oder Literatur sein. Es kann auch in einer anderen kreativen Art ausgelebt werden.

Literatur, die nur dazu da ist, dass sie mich in sie reinzieht und danach wieder ausspuckt, tut nur so, als wäre sie Literatur, sie ist nur eine Ablenkung davon. Sie ist etwas, das mit einem Versprechen anfängt, sie bedient nur die Form, will aber eigentlich, dass man ungesättigt herauskommt, und die einzige Reaktion, die ich zeigen soll, ist das Verlangen nach mehr. Das ist aber keine Reaktion.

Die adäquate Form, sich mit einem Kunstwerk zu befassen, ist etwas Eigenes zu erschaffen.

Bedeutet das, dass jeder Künstler sein sollte?

Wenn er Mensch sein sollte, ja, aber nicht Künstler in dem Sinne, dass man dazu unbedingt Kunst oder etwas in der Art studieren sollte, sondern das man produktiv denken, produktiv und individuell eine Stimme finden sollte für sein Leben oder Schicksal.

Ein Text muss nicht einen anderen Text produzieren, das Lesen von Text kann dazu führen, dass ich mich anders in dieser Welt ausdrücke. Auch eine gute Geste in der Welt kann Kunst sein, wobei ich offen lasse, was eine gute Geste ist. Zu denken, dass Kunst dazu da ist, konsumiert zu werden, ist falsch. Da verwechselt man Unterhaltung mit Kunst. Unterhaltung ist das Gegenteil von Kunst.

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